Die Bobiverse-Trilogie – von künstlicher Intelligenz, Unsterblichkeit und menschlicher Zerstörungswut

Der Autor

Über Denis E. Taylor ist eher wenig bekannt. Der kanadische Autor arbeitete früher als Software-Entwickler, was seinen Hang zu technisch versierter Science-Fiction erklären dürfte. Seinen ersten Roman Outland veröffentlichte er als Selfpublisher. Kommerziell erfolgreich wurde er erst mit Ich bin viele (We are Legion im englischen Original) – dem ersten Teil der sogenannten Bobiverse-Trilogie.

Abseits des Schriftstellerdaseins lebt Denis E. Taylor mit seiner Familie in der Nähe von Vancouver, Kanada, und abgesehen davon, dass er gern Snowboard fährt und mit dem Mountainbike unterwegs ist, ergibt die Recherche über ihn so gut wie nichts – nicht einmal ein Geburtsdatum. 

Der Inhalt

Die Trilogie besteht streng genommen aus vier Teilen und ist somit mittlerweile keine Trilogie mehr. Da der vierte Teil jedoch bisher nicht in Deutschland – bzw. auf deutsch – erschienen ist und sich zudem inhaltlich deutlich von den ersten drei Bänden unterscheidet, hat sich im Sprachgebrauch der deutschen SF-Fans der Begriff Bobiverse-Trilogie eingebürgert.

Zur ursprünglichen Trilogie gehören die Romane Ich bin viele, Wir sind Götter und Alle diese Welten. Teil vier steht auch in deutscher Sprache in den Startlöchern und wird den Titel Himmelsfluss (engl. Heaven’s River) tragen. Er erscheint am 8. März 2022, wie auch die ersten Teile im Heyne-Verlag.

Um inhaltlich nicht zu sehr zu spoilern, fasse ich an dieser Stelle nur einige Grundinformationen über die ersten drei Bände zusammen. Bob Johansson – im Laufe der Geschichte schlicht Bob – beschließt sich zum Zeitpunkt seines Todes einfrieren zu lassen. Dieser Zeitpunkt kommt dummerweise sehr bald nach der Vertragsunterschrift und er erwacht einhundert Jahre später zu neuem Leben. 

Dieses neue Leben hält jedoch eine schockierende Überraschung bereit: Er ist kein Mensch mehr, sondern eine künstliche Intelligenz – mit allen Erinnerungen des ursprünglichen Bob. Zudem gehört er, ganz offiziell, der Regierung der FAITH, dem Nachfolgestaat der USA in einem theokratisch-diktatorisch geführten Amerika.

Internationaler Neid und Konkurrenzkampf sind jedoch in hundert Jahren nicht kleiner, sondern eher noch größer geworden. Mit Hilfe von Von-Neumann-Sonden – sich selbst reproduzierenden Raumschiffen – versuchen die Staaten der Erde den Weltraum zu besiedeln. FAITH will dabei natürlich nicht zurückstecken und so wird Bob kurzerhand in eine solche Sonde „verpflanzt“, um sich in der interstellaren Nachbarschaft der Erde selbst zu replizieren und mögliche Kolonien für die Bewohner von FAITH zu suchen.

Nicht sonderlich überraschend erwarten den guten Bob – der grundsätzlich erstmal mit der Situation, eine KI zu sein, klarkommen muss – dabei viel mehr Probleme als nur die Suche nach passenden Planeten. Schnell schlagen sich Bob und seine Replikanten nicht nur mit Sonden anderer Nationen und der Zerstörungswut der Menschen, sondern auch mit aggressiven Extraterrestriern herum – doch sei an dieser Stelle nun genug gespoilert.

Das Leseerlebnis

Der erste Band fiel mir ganz zufällig bei einem ziellosen Bummel durch eine Bücherei in die Hände. Die drei Bände haben einen Umfang von 380 bis 450 Seiten und in allen drei Fällen waren sie in kürzester Zeit von mir weggelesen. Geschichten, die es schaffen wie im Flug zu vergehen, haben für mich persönlich schon ein gewisses Qualitätsniveau erreicht. Wenn mir vor Müdigkeit fast die Augen zufallen und ich trotzdem noch eben ein Kapitel lesen muss (was in diesem Fall leicht möglich ist, da die Kapitel oft sehr kurz sind), zeugt das von der Spannung, die der Autor aufbauen kann.

Nach der Lektüre konnte ich die Folgebände eigentlich gar nicht schnell genug in die Finger bekommen. Ich möchte das einen glücklichen Zufall nennen, denn ich kannte weder Denis E. Taylor noch das Bobiverse und ich möchte diese tollen Romane nicht mehr missen.

Für alle Bände gilt, dass ich als Freund von kurzen Kapiteln und vielschichtigen Handlungen hier voll auf meine Kosten gekommen bin. Aufgrund der sehr vielen Replikanten, die irgendwann naturgemäß alle eigene Erlebnisse schildern, verzweigt sich die Geschichte recht schnell. An manchen Stellen hatte ich das Gefühl, dass es zu viel wird, Taylor versteht es aber sehr gut, weniger wichtige Handlungsstränge auslaufen zu lassen und sich wieder auf die wichtigeren zu konzentrieren.

Aus der Bobiverse-Welt konnte ich vor allem zwei Dinge für mich stehlen: zum einen, dass ich mehrere Stunden mit einer spannenden – und oft auch mit einer Art Nerdhumor subtil gewürzten – Geschichte unterhalten wurde. Zum anderen – und das ist der philosophisch angehauchte Teil –, dass das Thema künstliche Intelligenz mit seinen Möglichkeiten höchst faszinierend  ist.

Dass eine künstliche Intelligenz sich ihrer selbst bewusst sein muss, wird jedem, der sich mit dem Thema beschäftigt, schnell klar sein. Dieses Selbst-Bewusstsein wird aus der Sicht einer KI beschrieben, die zudem die Erinnerungen eines echten Menschen enthält. Das zu lesen, war für mich höchst spannend. Bob geht in seiner Entwicklung durch verschiedene Phasen, versucht sich selbst immer wieder zu optimieren und seiner Psyche eine Grundlage zu beschaffen, die es ihm ermöglicht, nicht an seiner Situation zu verzweifeln oder gar verrückt zu werden.

So entwickeln auch die Replikanten, die ja erstmal identisch sind, nach und nach unterschiedliche Schwerpunkte und Interessen. Während sich der eine um die heimische Erde und ihre Bewohner kümmert und dabei Organisationstalent an den Tag legt, erforscht ein anderer getarnt als Einheimischer einen neu entdeckten Planeten. Auch wenn natürlich einige Handlungsstränge für mich spannender waren als andere, so hatten doch alle im großen Zusammenhang ihre Berechtigung und so richtig gelangweilt hat mich keiner.

Taylor beleuchtet aber auch die Unterschiede, die sich aus der unterschiedlichen Behandlung der Replikanten ergeben. Wenn man einer KI die Möglichkeit gibt, so etwas wie Gefühle und Moral zu haben, wird etwas anderes dabei herauskommen, als wenn man sie in ein Raster aus Programmroutinen zwingt, die ihr nur bestimmte Handlungsmöglichkeiten offenlassen. Im Bobiverse führt letzteres zu – bei organischen Menschen würde man sagen – psychischen Erkrankungen und teilweise zu katastrophalen Fehleinschätzungen.

Selbstverständlich sind das alles fiktive Überlegungen, die aber trotzdem einen gewissen Realismus in sich tragen und deren Implikationen mir unter die Haut gegangen sind. Es war faszinierend und erschreckend zugleich.

Neben dem großen Thema KI behandelt Taylor aber auch Dinge wie die Nutzung von Kryotechnik, Gedächtnisspeicherung oder Mind Upload sowie die Gefahren globaler Katastrophen in seinen Romanen. Auch das Thema Unsterblichkeit und ihre Auswirkungen auf die Menschheit wird angerissen.

Er spielt zudem über die drei Bände mit aufeinander aufbauender, von Bob und seinen Ablegern weiterentwickelter Technik, die mir realistisch, aber weit fortgeschritten erscheint. 

In vielerlei Hinsicht ist das Bobiverse schon fast in der Hard-SF anzusiedeln, auch wenn es offiziell nicht so gehandhabt wird. Taylor hält sich jedoch an sehr realistische Technik, die auch heute schon machbar erscheint und für eine Realisierung möglicherweise nur noch etwas Entwicklungszeit benötigen würde. Natürlich gibt es dabei auch einige Ausnahmen, die etwas fantastischer erscheinen – doch auch hier stellt sich die Frage: Wäre das nicht in 100 Jahren vielleicht doch möglich? 

Alles in allem sind die drei Romane ganz nach meinem Geschmack udn haben nur wenige Schwachpunkte. Ich kann sie Fans von Hard-SF oder künstlicher Intelligenz nur wärmstens empfehlen.

Die Metadaten

(Autor) Denis E. Taylor

(Titel) Ich bin viele 

(Jahr der Ersterscheinung) Erschienen 2016

(Jahr der gelesenen Ausgabe, Verlag, ISBN) 2018, Heyne, ISBN 978-3-453-31920-2

(Titel) Wir sind Götter 

(Jahr der Ersterscheinung) Erschienen 2017

(Jahr der gelesenen Ausgabe, Verlag, ISBN) 2019, Heyne, ISBN 978-3-453-31921-9

(Titel) Alle diese Welten 

(Jahr der Ersterscheinung) Erschienen 2017

(Jahr der gelesenen Ausgabe, Verlag, ISBN) 2019, Heyne, ISBN 978-3-453-31932-5

(Titel) Himmelsfluss 

(Jahr der Ersterscheinung) Erschienen 2020

(Jahr der gelesenen Ausgabe, Verlag, ISBN) 2022, Heyne, ISBN 978-3-453-32166-3

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